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25.05.2022

Komponist Rudi Sordes im Interview

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Rudi Sordes hat das geschafft, wovon viele Menschen träumen. Er hat an den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking teilgenommen – und das mit über fünfzig. Zugegeben, als Sportler hätte der französische Musiker wohl keine großen Erfolge erzielt, als einer der Komponisten der Eröffnungsfeierlichkeiten sorgte er jedoch für viel Gänsehaut beim sportbegeisterten Publikum.

Doch wie kam ein französischer Komponist dazu, den ersten Kurzfilm der Zeremonie der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele 2022 musikalisch zu untermalen? Rudi Sordes Geschichte handelt von dem Glauben an sich selbst, von Ausdauer und Freundschaft – und dem kleinen Funken Glück, der Träume in Wirklichkeit verwandeln kann ...

Rudi, schön dich zu treffen. Du warst einer der Komponisten, die für die Musik der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking engagiert wurden. So ein großer Auftrag erfordert einiges an musikalischer Erfahrung. Wann hast du mit dem Komponieren begonnen?
Rudi: Ich bin relativ spät zum Komponieren gekommen – mit 13 Jahren, um genau zu sein. Andere Komponisten haben mir jedenfalls einige Jahre voraus (lacht). Zu dieser Zeit gab es keine digitalen Studios mit unzähligen virtuellen Instrumenten. Ich bin jetzt 55, begann also zu einer Zeit Kompositionen zu erstellen, in der die computerbasierte Musikproduktion noch in den Kinderschuhen steckte.

Ich setzte mich damals oft an das Klavier meiner Schwester und klimperte vor mich hin. Auf diesem Instrument entstanden auch meine ersten Kompositionen. Seitdem habe ich viel Musik komponiert und produziert und konnte diese auch in Fernsehfilmen und beim französischen Radio platzieren. Zudem habe auch viel Musik für meine eigenen Pop- Produktionen geschrieben.

In mein Berufsleben bin ich als Ingenieur gestartet, habe aber immer versucht beide Welten miteinander zu verbinden. Während meines Ingenieursstudiums, das ich in Frankreich an der Hochschule Centrale Paris und in Deutschland an der RWTH Aachen absolvierte, erreichte ich einen zweiten Dipl. Ing. in Elektrotechnik. Dieser ermöglichte es mir auch im Bereich der Musiktechnik zu arbeiten – unter anderem für verschiedene Rundfunkanstalten. Aktuell arbeite ich noch als Ingenieur, bin aber immer mehr an Medienproduktionen beteiligt.

Vom Klavier deiner Schwester in die Ohren unzähliger Zuhörer – du hast das erreicht, von dem viele Komponisten träumen. Welches Ereignis in deinem Leben war im Nachhinein das Wichtigste auf deinem Weg als professioneller Komponist zu arbeiten?
Rudi: Wir schreiben das Jahr 2000 – ich war also Anfang 30. Meine Frau und ich hatten damals bereits sechs Kinder. Sie wollte mich unbedingt dabei unterstützen, meinen Traum, als professioneller Komponist zu arbeiten, zu verwirklichen. So setzte sie alle Hebel in Bewegung, um es mir zu ermöglichen, einen Monat in Los Angeles zu verbringen, um dort als Komponist Fuß fassen zu können.

Zu dieser Zeit traf ich unter anderem eine ältere Dame, die zu den erfolgreichsten Agenten für Filmmusikkomponisten in Hollywood zählte. Sie war sehr freundlich, sagte mir aber, dass sie für mich nichts machen könne, da potenzielle Auftraggeber zuerst nach Referenzkompositionen aus professionellen Fernseh- oder Radioproduktionen fragen würden, die ich zu dieser Zeit leider noch nicht hatte. Wenn ich es aber schaffe, mir diese Referenzen zu erarbeiten, hätte ich eine Chance. Also, alles auf Anfang.

Und wie ging es dann für dich weiter?
Rudi: Ich hörte auf die Worte der Dame und nahm mir vor mein Adressbuch von A bis Z nach passenden Kontakten zu durchforsten. Ich kam bis zum Buchstaben F. Dort stoppte mein Finger bei Francis Fourcou. Wir lernten uns zwei Jahre zuvor bei einem gemeinsamen Job kennen, der jedoch nichts mit Musik zu tun hatte. Ich erinnerte mich, dass er auch als Regisseur für Fernseh- und Kinofilme arbeitete und beschloss ihn anzurufen.

Anfangs war er sehr skeptisch, sagte aber ich solle mich in einem halben Jahr bei ihm melden, da er dann ein neues Projekt beginnen würde. Das tat ich und wir trafen uns in seinem Studio. Er hörte sich etwa fünf Sekunden meiner Demo-CD an und realisierte, dass ich ihm keinen Bären aufgebunden hatte und wirklich etwas von Musik verstehe.

So kam ich zu meinem ersten richtigen Job als Komponist für das französische Fernsehen. Ich schrieb die Musik für ein Streichquartett und war musikalisch für seine nächsten Filme verantwortlich. Wir arbeiten bis heute zusammen.

Also war das anfangs für dich enttäuschende Gespräch mit der erfolgreichen Agentin in Los Angeles dein Start professionell als Komponist zu arbeiten?
Rudi: Im Nachhinein betrachtet ja. Sie hat es geschafft in einem kurzen Gespräch präzise zu analysieren, was mir fehlt, um professionell als Komponist arbeiten zu können – Referenzen. Dafür bin ich ihr heute sehr dankbar.

Viele Musiker warten Jahre lang darauf entdeckt zu werden. Meiner Erfahrung nach ist es jedoch der bessere Weg mit seiner Musik nach draußen zu gehen und Kontakte zu knüpfen. Auch wenn das dazu führt, den ein oder anderen Job ohne Honorar anzunehmen.

Springen wir ins Hier und Jetzt. Du hast die Musik des ersten Kurzfilms der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking komponiert. Der mittlerweile bekannte chinesische Werbefilmer Long Jiangbo zeigt sich für den Clip verantwortlich. Wie hast du ihn kennengelernt?
Rudi: Vor vier Jahren war ich beruflich in China unterwegs. Der Besuch hatte jedoch nichts mit meiner Tätigkeit als Komponist zu tun, sondern mit meinem Job als Ingenieur. Meine freie Zeit nutzte ich, um Kontakte mit Menschen aus der Kreativbranche zu knüpfen.

Über Bekannte aus Frankreich lernte ich einen Mann aus China kennen, der perfekt französisch sprechen konnte und zudem sehr gut in der kreativen Szene in China vernetzt war. Ich hatte Glück, dass er sich genau zu der Zeit, in der ich in Peking war, auch dort herumtrieb. Das war ein großer Zufall. Er nahm sich Zeit für mich und stellte mir den Filmemacher Long Jiangbo vor.

Wie war das Gespräch mit ihm?
Rudi: Ich war natürlich sehr überrascht, dass sich jemand wie Long Jiangbo so viel Zeit für mich nahm. Wir haben damals fast einen ganzen Tag miteinander verbracht und sprachen über einen Übersetzer miteinander. Er war sehr freundlich und zeigte mir seine Arbeit, die mich sehr beeindruckte.

Umgekehrt mochte er meine Musik und sah in einer Zusammenarbeit mit mir die Chance, neue musikalische Einflüsse für seine Filme zu bekommen. Am Ende des Tages fragte er mich, was es kosten würde, mit mir zusammenzuarbeiten. In China ist das Urheberrecht weit von europäischen Standards entfernt. So kann Musik ganz einfach ohne zusätzliche Kosten genutzt werden. Die Budgets für Kompositionen bei kreativen Projekten sind auch aus diesem Grund sehr gering.

Wie seid ihr in Bezug auf eine weitere Zusammenarbeit verblieben und wie ging es danach für euch weiter?
Rudi: Wir waren beide zu dieser Zeit noch relativ unbekannt und einigten uns darauf vorerst Projekte ohne großes Budget umzusetzen, uns erstmal kennenzulernen und gemeinsam zu wachsen. Die nächsten eineinhalb Jahre blieben wir in Kontakt und arbeiteten zusammen an der Planung kleinerer Projekte. Dann bekam Long Jiangbo den Auftrag, für die größte chinesische Versicherungsgesellschaft PICC einen Image Film zum 70-jährigen Bestehen zu produzieren.

Er fragte mich, ob ich die Musik unter dem Motto „orchestrales Gedicht“ für den zweiminütigen Clip komponieren möchte. Als Vorlage schickte er mir ein Mood-Board bestehend aus 15 Bildern, die Szenen aus dem Film widerspiegelten. Unsere Zusammenarbeit fand großen Zuspruch seitens der Auftraggeber.

Sechs Monate später bat mich Long Jiangbo nach China zu kommen. Er produzierte einen weiteren, diesmal neunminütigen Clip für PICC und ich sollte wieder die Musik komponieren und sogar im Video mitspielen. Auch diese Zusammenarbeit war ein voller Erfolg. Der Film heißt übrigens „Children of Earth“ und stellt eine Ode an die Menschen die in den ländlichen Regionen Chinas leben dar.

Und dann kam der Auftrag, der alles veränderte?
Rudi: Zuerst kam Covid und alle weiteren Projekte von Long Jiangbo wurden eingefroren. Im November 2021 meldete er sich jedoch bei mir. Er sagte mir, dass er unter 20 Bewerbern ausgewählt wurde, den ersten Kurzfilm für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking 2022 zu produzieren.

Der Vorsitzende des Ausschusses der Zeremonie war kein geringerer als Zhang Yimou – einer der besten und erfolgreichsten Regisseure des chinesischen Kinos. Er führte schon bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking bei der Eröffnungs- und Schlussfeier Regie. Long Jiangbo fragte mich, ob ich die Musik für den Film komponieren möchte.

Wie konnte Long Jiangbo Zhang Yimou überzeugen dich als Komponisten zu verpflichten?
Rudi: Im Nachhinein war das Ganze eigentlich eine sehr lustige Situation. Natürlich gab es ein Meeting in dem Long Jiangbo Zhang Yimou meine Musik präsentierte – jedoch war ich mir bis zum Schluss nicht sicher, ob ich wirklich bei den Eröffnungsfeierlichkeiten zu hören sein würde. Auch Long Jiangbo war sich nicht sicher, ob ich nicht doch irgendwann durch einen chinesischen Komponisten ersetzt werden würde.

Wir arbeiteten trotzdem weiter Schritt für Schritt an der Fertigstellung des Films. Zwei Tage vor der Eröffnungsfeier konnte mir Long Jiangbo versichern, dass meine Musik für die Eröffnungsfeier genutzt werden würde. Doch erst als der erste Ton meiner Komposition bei den Feierlichkeiten gespielt wurde, konnte ich es wirklich glauben.

Später habe ich erfahren, dass Zhang Yimou mich schon früh als Komponist für den Film akzeptiert, jedoch zur Sicherheit einen Plan B in der Tasche hatte.

Gab es noch weitere Herausforderungen zu meistern?
Rudi: Ja, die gab es. Der Kurzfilm ist ein Countdown zum Ende der 24 Abschnitte des chinesischen Sonnenjahres und leitet den Frühling ein. Die Struktur des Films hat sich ständig geändert. Anfangs war geplant, jeder Jahreszeit die gleiche Dauer zu widmen.

In der finalen Version sind die Jahreszeiten unterschiedlich lange zu sehen. Zudem werden die letzten zehn Jahreszeiten in einem schnellen Countdown heruntergezählt. Diesen Wechsel musikalisch abzubilden war eine große Herausforderung, da ich ständig Änderungen an meiner Komposition vornehmen musste.

Hattest du den Film oder zumindest Teile davon zu Beginn deiner Arbeit vorliegen, um deine Musik auf Bewegtbild komponieren zu können?
Rudi: Nein, leider nicht. Die ganze Zeremonie unterlag einer großen Geheimhaltung. So war anfangs nicht einmal bekannt, dass Zhang Yimou die Leitung der Zeremonie übernahm. Ich hatte nur die Idee des Films, also die 24 Jahreszeiten, als Vorlage. Es gab zwar eine musikalische Referenz, diese diente aber nur als grobe Orientierung.

Ich schickte also mehrere Ideen an Long Jiangbo, der mir wiederum Feedback gab, um Schritt für Schritt ein geeignetes Klangbild zu entwickeln. Später habe ich ein Skript des Kurzfilms zur Orientierung bekommen. Ich bastelte mir anhand des Skriptes aus Stock- Bildern und -Videos einen eigenen dreiminütigen Film zur Orientierung. Nach und nach bekam ich dann aber immer mehr Einblick in Long Jiangbos Arbeit und auch eine erste Version des Films.

Gab es Vorgaben in Bezug auf die Klänge beziehungsweise welche Instrumente hast du verwendet und warum?
Rudi: Eine grobe Vorgabe war, dass die Komposition international klingen sollte wobei 20 Prozent der verwendeten Klänge orientalische Ursprungs sein sollten. Im großen und ganzen hatte ich eine große Freiheit bei der Auswahl der Sounds, konnte mich also richtig austoben. Für den Bass am Anfang des Films habe ich beispielsweise Sylenth1 von LennarDigital genutzt. An diesem Software-Synthie mag ich besonders den analogen Klang und die vielen inspirierenden Presets, die ich oft als Basis für eine weitere klangliche Bearbeitung nutze.

Zudem habe ich auf Best Service The Orchestra by Sonuscore zurückgegriffen. Diese Library lässt sich sehr effizient einsetzen. So können Komponierende schnell und mit nur wenigen Handgriffen realistische Klangergebnisse erreichen. Zudem gefällt mir bei The Orchestra, dass sich mehrere Instrumentengruppen gleichzeitig spielen lassen.

Ich nutze übrigens nicht das bekannte Animated Orchester, sondern komponiere mit den Einzelsounds der Instrumente. Auch die Libraries von Output Sound habe ich verwendet, da die Klänge perfekt in Kombination mit Orchester-Sounds funktionieren.

Die chinesischen Klänge stammen aus der Best-Service-Library „Peking Opera Percussion“.

Es gibt mehrere Klänge von Vokalisten in deiner Komposition. Hattest du für die Aufnahmen professionelle Musiker im Studio?
Rudi: Nein, auf den Aufnahmen sind ich und meine Tochter Emma zu hören. Sie hat eine tolle Stimme für Popmusik und ich arbeite auch an anderen Projekten mit ihr zusammen. Zudem habe ich die Best Service Library Shevannai verwendet. An dieser Library gefallen mir besonders die vielen Bearbeitungsmöglichkeiten und der tolle Klang.

So konnte ich mit der Veränderung von drei Parametern einen natürlichen und emotionalen Stimmklang erreichen, der perfekt zu meinem Stück passte. Besonders gut eignet sich das Instrument übrigens für epische Kompositionen.

Wurden bestimmte Klänge im Nachhinein durch echte (Orchester-)Instrumente ersetzt?
Rudi: Nein. Alle Klänge, bis auf den Gesang meiner Tochter und mir, sind In-The-Box entstanden. So stammen fast alle Sounds, die im Video der Eröffnungsfeier zu hören sind, aus verschiedenen Sample-Libraries.

Was hat sich seit deiner musikalischen Teilnahme bei den Olympischen Winterspielen in Peking verändert?
Rudi: Für mich hat sich dadurch ein großes Tor geöffnet. Jetzt habe ich endlich die notwendigen Referenzen, die mir laut der Agentin, die ich damals in LA traf, fehlten. Meine Kinder haben zur Eröffnungsfeier übrigens eine große Party veranstaltet und waren stolz, dass ihr Papa endlich etwas Vorzeigbares komponiert hat (lacht).

Rudi Sordes – Favorite Virtual Instruments:

Best Service The Orchestra Complete, by Sonuscore
Best Service Peking Opera Percussion
Best Service Emotional Violin
Best Service Emotional Cello
Best Service Shevannai
Native Instrument Komplete 13
Izotope Iris
Output Exhale
Output Analog Strings
Output Analog Brass and Winds
Output Substance
LennarDigital Sylenth1

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